Es war ein Tag zum Vergessen. Auch im dritten Anlauf schaffte er der VfB nicht, sich zumindest einen einzigen Punkt aus der Bundesliga zu holen. Woran liegts? Keine Lust? Keine Kraft? Keine Motivation? An mangelnder Unterstützung durch die Fans kann es an den vergangenen beiden Spieltagen in Mainz und daheim gegen Leverkusen nicht gelegen haben, doch so allmählich war das Fass voll. Von der Aufbruchsstimmung war nichts, aber auch wirklich gar nichts mehr übrig geblieben.
Gegen wen vermochten unsere Brustringträger denn zu punkten, wenn nicht beim ewigen Abstiegskandidaten aus Augsburg? Gründe für die schlechten Leistungen der letzten Wochen zu finden ist die selbstauferlegte Aufgabe eines jeden Fans, dabei obliegt es doch eigentlich dem Trainer Bruno Labbadia, seine Mannschaft richtig einzustellen. Wenige Tage sind vergangen seit der Hinspiel-Niederlage beim kroatischen Erstligisten HNK Rijeka. Es mussten endlich Erfolgserlebnisse her.
Am Besten gleich gegen Augsburg. Ich erinnere mich noch an eine Zeit, in der Mannschaften wie Augsburg, Hoffenheim und Hannover kein Problem gewesen waren. Sprang mal “nur” ein Punkt dabei raus, war es schon ärgerlich. Diese Zeiten waren vorbei, nach einer mäßigen Saison, die nur durch das Pokalfinale einigermaßen gerettet war, ging es nun genau so weiter. Schlechte Leistungen und eine offensichtliche Ratlosigkeit des Trainers sorgten zuletzt für unruhige Zeiten.
Mit dem Bus nach Augsburg
Das sollte sich auch in Augsburg nicht ändern. Für Sonntag Nachmittag war das Spiel angesetzt, nicht gerade die ideale Fußballzeit, bei einer Entfernung von etwa 180 Kilometern aber durchaus noch akzeptabel. Ausschlafen, gemütlich frühstücken und dann losfahren zum nahe dem Neckarstadion gelegenen Treffpunkt für die Busse von VfBaway. Selber fahren wollte Felix nicht, unsere normale Reisegruppe gab es diesmal nicht durch das Spiel in Rijeka. Somit wurde der Bus als Beförderungsmittel gewählt.
Das verregnete Wetter den ganzen Tag über sollte mich schonmal auf meine Laune vorbereiten. Bevor es richtig anfing mit Schütten, bestiegen wir den Bus, auch Fotografen-Kollege Markus war mit dabei. Viertel Zwei setzte sich der Tross in Bewegung, noch waren alle frohen Mutes, dass heute die ersten drei Punkte in der Bundesliga mitgenommen werden können. Die Stimmung war gut, bis sich die ersten Schwierigkeiten auf unserer Reise bemerkbar machten.
Schnell war durchgesickert, dass es wohl einen Stau auf der A8 Richtung München geben würde, genau unsere Strecke. Schon bald bog der Busfahrer, der mit einigen bereits schon nach Kroatien gefahren war, von der ursprünglichen Strecke ab, über Bundes- und Landesstraßen, vorbei an Gewerbegebieten und landwirtschaftlich genutzten Feldern bahnten wir uns unseren Weg. Noch kein Grund zur Panik.
Keinen Zentimeter weiter
Ich weiß nicht mehr genau, wie es dazu kam, doch schlussendlich landeten wir trotzdem wieder auf der Autobahn und kamen genau dort zum Stehen, wo es uns die Stau-Infos in Radio und Internet prophezeit hatten. Hinter Kirchheim rollten wir nur wenige Zentimeter vorwärts und fuhren erst einmal raus zum Rasthof Gruibingen, eine Toiletten- und Raucherpause, während sowieso recht wenig vorangeht. Schnellen Schrittes liefen Felix und ich zum Rasthof, schnell auf die Toilette und dann noch einen Kaffee zum Mitnehmen. Wir beeilten uns so sehr, die Idee, dass es noch einige Zeit dauern würde, kam uns zunächst gar nicht.
Da standen wir nun also mit dem Bus auf dem Rasthof, inmitten vieler Autofahrer und weiterer Busse, einer davon direkt neben uns. Es handelte sich offenbar um eine Klassenfahrt, immer wieder ging unser Blick herüber, darin prügelten sich immer wieder ein paar Jungs in den hinteren Reihen. Mit den Raufereien, die ich in der Schule einst selbst noch beobachten konnte, hatte dies nichts mehr zu tun. Kickboxen, mit dem Fuß ins Gesicht treten und mehrmals mit geballter Faust auf die Nase schlagen. Deren Mitschüler fanden es witzig. Ich sah das anders.
Die Zeit raste, was man von unserem Bus nicht behaupten konnte. Minute um Minute verging, der besorgte Blick auf meine Armbanduhr ließ mich stetig unruhiger werden. Seit ich zum Fußball gehe ist es mir noch nie passiert, dass ich zu spät zum Anpfiff gekommen war. Vergangene Saison in Düsseldorf war es knapp, aber wir schafften es noch fünf Minuten vor Anpfiff ins Stadion, es war der größte Stress, den ich bis dato ausgesetzt war.
Kurz vor knapp am Stadion
Nach gut einer Stunde Stillstand löste sich der Stau ein wenig und wir rollten wieder. Warum nichts mehr vorwärts ging, wussten wir nicht mit Sicherheit, von einer Vollsperrung wegen eines Unfalls war die Rede. Doch eine Stunde war dafür fast schon ein bisschen wenig, Unfallspuren waren auch nach mehreren Minuten Fahrt keine zu erkennen, keine Polizei, kein Krankenwagen. Wer weiß? Es ging weiter, das war das einzige, was wichtig war. Das restliche Stück Richtung Puppenkistenstadt war dann schnell absolviert, bis wir in Augsburg selbst wieder ins Stocken kamen.
Es war bereits gegen fünf Uhr, eine halbe Stunde bis Anpfiff. Anfahren, Bremsen, Anfahren, Bremsen, Anfahren, Bremsen \” es nervte einfach nur noch. Unter normalen Bedingungen wäre ich zu dieser Zeit schon seit über einer halben Stunde im Gästeblock der SGL Arena gewesen. Es zog sich hin, als würde jeder Augsburger Fan sich erst eine halbe Stunde vor Anpfiff zum Stadion aufmachen. Die Spielstätte war schon in Sichtweite, das letzte Stück zog sich aber noch einmal lange hin.
Etwa zehn Minuten vor Anpfiff hatten wir es dann schließlich geschafft, vor den Toren des Gästeblocks kam unser Bus schließlich zum Stehen, schnellen Schrittes ging es zur Eingangskontrolle. Jetzt aber zackig, kurz von Felix verabschiedet und hinein in den Block, der bereits gut gefüllt war. Neben Freunden und Bekannten erwählte ich mir meinen Stehplatz und bewegte mich fortan keinen Zentimeter weg. Wo ist eigentlich Sandro, mein Glücksbringer?
Punkte dringend benötigt!
Auch dieses Mal sollte ich den Anpfiff nicht verpassen. Kurz nachdem wir endlich drin waren, führte Schiedsrichter Tobias Welz die Mannschaften aufs Feld. Beide haben bisher null Punkte erreicht und stehen mit dem Rücken zur Wand. Die Luft war merklich dünn geworden für Bruno Labbadia, dessen Bremsen der Aufbruchsstimmung nicht gerade förderlich für die allgemeine Stimmung am Neckar gewesen war. Drei Punkte bräuchten wir so sehr, um nicht endgültig den Anschluss zu verlieren.
Dasletzte Gastspiel in Augsburg ist noch gar nicht so lange her, Ende der abgelaufenen Saison verloren wir hier klar und deutlich mit 3:0, die damit verbundene Hoffnung, dass durch Augsburger Sieg zumindest Hoffenheim absteigen würde, erfüllte sich dennoch nicht. Mittlerweile trug einer aus unseren eigenen Reihen das Trikot des Gegners, Raphael Holzhauser wurde zu Beginn der Saison für ein Jahr zu den bayrischen Schwaben ausgeliehen.
Auch wenn der Frust nach Ende der Partie entsprechend groß war, so muss ich doch anerkennen, dass sie nicht unbemüht waren. In den ersten Minuten versuchten die Jungs, nach vorne durchzukommen, mit Geduld würde das auch gelingen. Die Stimmung war gut bei den rund 3.000 mitgereisten württembergischen Schwaben, die in alter Tradition fröhlich sangen: “Steht auf, wenn ihr Schwaben seid”.
Früher Rückstand
Alt war das Spiel noch nicht geworden. Es lief die sechste Minute, als Paul Verhaeghs Flanke an der Außenlinie von Antonio Rüdiger unglücklich durch die Beine hindurch abgefälscht und zur unfreiwilligen Vorlage für Halil Altintop wurde, der nur noch seinen Fuß dranhalten zu brauchte. Der frühe Rückstand also, na das fängt ja hier gleich schonmal gut an. Klarer Fall von dumm gelaufen, solche Dinger können jedem passieren.
Schnell war der Gästeblock verstummt, nach nur wenigen Minuten lag man bei einer Mannschaft zurück, die in den ersten beiden Spielen nicht ein einziges Tor zustande gebracht hatte. Ziemlich bitter. Die ersten Worte, die aus unseren Reihen zu hören waren, sind stets bekannt gewesen. Das “Bruno raus!” wurde in den letzten Wochen lauter und lauter. Weiter zog es seine Kreise und wurde erst spät übertönt von dem Wiedereinsetzen des Supportes.
“Wir wollen euch kämpfen sehen!” schrien wir laut hinaus, ob es unsere Jungs gehört haben, wissen wir nicht. Wer hier einen Spaziergang gegen tor- und punktlose Augsburger erwartet hatte, lag falsch. Das konnte doch wirklich nicht wahr sein. Was ist aus dem Verein geworden, der vorne um die europäischen Plätze mitspielt und jederzeit für Überraschungen gut ist? Überraschungen gelangen uns unter Bruno Labbadia einige, jedoch auch ziemlich viele negative Überraschungen.
Offener Schlagabtausch
Paul Verhaegh brachte kurze Zeit nach seiner Vorlage für den Führungstreffer der Hausherren unseren von Dortmund ausgeliehenen Neuzugang Moritz Leitner zu Fall, bekam dafür Gelb. Jede Karte wurde mit Argusaugen betrachtet, am vorherigen Tag hagelte es rekordverdächtige drei gelb-rote und vier glatt rote Karten. Die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass es bei allem Unglück der letzten Wochen mit Sicherheit auch den VfB treffen würde.
Sie waren bemüht, das konnte man ihnen ansehen. Die Niederlagen gegen Mainz, Leverkusen und vor wenigen Tagen in Rijeka setzten der Mannschaft sichtlich zu, es war weniger die Spielfreude, die aus ihnen heraus sprudelte, vielmehr war es der Druck, der auf ihren Schultern lastete. Sie wussten offenbar, wie dünn das Eis ist, auf dem sie sich bewegen. Der VfB brauchte Punkte, nicht nur Bruno Labbadia konnte ahnen, was ihm droht, wenn er ohne zumindest ein Unentschieden nach Stuttgart zurück kehrt.
Jedes Mittel war recht, ein paar ganz gelungene Spielzüge bekamen wir zu sehen, während wir weiter unter dem Dach unsere Lieder gesungen hatten. Selbst Gotoku Sakai, der sein erstes und einziges (Traum-)Tor in Bukarest geschossen hatte, probierte es aus der Distanz und zwang den 26-jährigen Schweizer Marwin Hitz zu einer Parade. Keinesfalls ein lahmes Spiel, es ging hin und her, das Ende völlig offen.
Immer tiefer im Dreck
Dass wir schon hinten gelegen waren, trübte meine Laune schon von Beginn an, ich sorge mich in diesen Tagen sehr um meinen Herzensverein, den anderen Mitgereisten wird es nicht anders ergangen sein. Diverse Male versuchten sie es, blieben aber immer ohne Erfolg. Augsburg fand nach dem frühen 1:0 durch Halil Altintop nicht mehr statt, zumindest nich in der Offensive. Der VfB hatte mehr Ballbesitz, eine bessere Passquote, mehr Torschüsse, mehr gewonnene Zweikämpfe \” aber auf der Anzeigetafel stand das, was am Ende des Tages entscheidend ist.
“Aufwachen, Aufwachen!” skandierte der Gästeblock, als hätten sie geahnt, was folgen würde. Bei Augsburg war es Raphael Holzhauser, der für die Standards verantwortlich war, auch den Freistoß in der 36. Minute durfte er treten. Lediglich Alexandru Maxim stellte sich in eine Ein-Mann-Mauer, die gegen die gefährlichen Aktionen des Österreichers ohnehin von dekorativer Natur war. Wir kennen “Rapha” nur zu gut, wir hätten es doch eigentlich besser wissen müssen?!
Mein ungutes Bauchgefühl vor der Ausführung dieses Freistoßes trügte mich nicht. Das Ding kam aber auch mal sowas von mit Ansage… Jan-Ingwer Callsen-Bracker, bei dessen Namen man nicht weiß, ob es der geilste oder der dämlichste Name in der ganzen Bundesliga ist, stieg hoch und köpfte chancenlos ins Netz \” “Augsburg: ZWEI… Stuttgart: NULL”. Bitterer hätte die erste Halbzeit in Augsburg nicht sein können.
Vom Punkt zum Anschluss
Wir hatten die Schnauze voll, was wir auch mündlich kund taten. Was ist das hier bitte für eine Scheiße? So viel Ärger, so viel Frust, so viel hatte man sich vorgenommen und drohte wieder ohne Erfolg zurück zu bleiben. Nur noch ein paar Minuten bis zur Halbzeitpause. Einer der letzten Angriffe des VfB wurde vorgetragen, Alexandru Maxim war unterwegs zum Tor und wurde unsanft von Paul Verhaegh gelegt, innerhalb des Strafraumes, Elfmeter für uns!
Ein klarer Fall für Vedad Ibisevic, ein kurzer Anlauf und dann schnell und stamm ins linke Eck geschossen, das ganze vor der Augsburger Fankurve, deren Pfiffe keinen Einfluss auf unseren Bosnier hatten. Der Anschluss war hergestellt, das Tor mehr als verdient. Doch noch war die erste Halbzeit nicht vorbei, einen Eckball zog Raphael Holzhauser direkt auf den Torpfosten, brandgefährlich war er auch in dieser Situation. Jede Menge los gewesen hier, aber erstmal war Pause.
Um mich herum setzten sich die meisten auf die hohen Stufen. Ich nutzte die Zeit dazu, jemanden zu suchen, der in solchen Situationen beruhigend auf mich einwirken kann. Gemeint war leider nicht Felix, der im oberen Bereich des Gästeblocks Fotos machte, nein, ich suchte Sandro, gefunden habe ich ihn nicht. Auswärts ohne den Glücksbringer, keine guten Vorzeichen hier.
Kämpfen und siegen, niemals aufgeben!
Für den doch recht früh angeschlagenen Moritz Leitner kam Martin Harnik ins Spiel. Sie spielten nun in unsere Richtung, begleitet vom lauten Support traf Arthur Boka beinahe zum Ausgleich, der seit der zehnten Minute gelb-vorbelastete Kapitän Paul Verhaegh kratzte den Ball gerade noch so von der Linie, kurz bevor er das Feld verlassen hatte. An Spannung verlor das Spiel nicht, im Gegenteil, der VfB wurde bemühter, den schnellen Ausgleich zu erzielen, um doch noch Punkte mitzunehmen. Das sahen wir wohlwollend und unterstützten sie, so gut wie wir nur konnten.
Viel lief nicht mehr zusammen beim FCA, lediglich ein paar nicht ungefährliche Standardsituationen, getreten von \” wie könnte es auch anders sein an einem gebrauchten Tag \” von einem unserer verliehenen Spieler. Die Geschichte drohte sich zu wiederholen. Ex-VfBler Shinji Okazaki traf bei seinem ersten Spiel für Mainz sogleich gegen uns, Ex-Leverkusener Daniel Schwaab eine Woche zuvor ins eigene Tor gegen seine Ex-Kollegen.
Kommt schon Jungs, rafft euch endlich mal! Noch 30 Minuten waren Zeit, aus der drohenden Niederlage noch etwas Zählbares zu machen. Vieles war schief gegangen in den letzten Wochen, stets spielte man richtig gut mit und brachte sich am Ende durch unglückliche und dumme Aktionen selbst um den verdienten Lohn. In der Tabelle null Punkte, das saß nicht nur in den Köpfen der Spieler, sondern auch in unseren. In Bad Cannstatt hatte man gehofft, dass es besser werden würde. Einige Neuzugänge wurden frühzeitig verpflichtet, ein neuer Präsident, das alte Wappen, eine lange nicht da gewesene Aufbruchsstimmung. Das hier war bittere Realität.
Bl(W)itz-Rot nach sechs Minuten
Ein weiterer Ehemaliger betrat das Feld, der langjährige Augsburger Ibrahima Traoré, seit der Saison 2011/2012 im Dienste des Brustrings wurde nicht besonders freundlich begrüßt. Der Flügelflitzer aus Guinea war einst mit Augsburg aufgestiegen und wechselte ablösefrei von den bayrischen Schwaben zu den württembergischen Schwaben. Laute Pfiffe von denen, die ihn früher bejubelt haben. Kein feiner Zug, aber wer im Glashaus sitzt… Auch ich stehe einer gewissen Nummer 33 trotz Wechsel ins Ausland bis heute feindselig gegenüber.
Sechs Minuten stand unsere Nummer 16 auf dem Feld, ein harmloser Zweikampf, bei dem der Augsburger Ronny Philp zu Boden ging. Ein Pfiff ertönte, Freistoß gibts, dachte man sich. Sofort rannte Tobias Welz zum Ort des Geschehens, griff sich an den Po und zückte die glatt rote Karte. Bitte was? Das muss doch alles ein Missverständnis sein! Für ein “Foul”, für das selbst die gelbe Karte eine harte Entscheidung gewesen wäre, gab es hier eine glatt rote Karte!
Der Linienrichter kam dazu, doch der Platzverweis wurde nicht mehr zurück genommen. Fassungslose Gesichter zu meiner Linken und zu meiner Rechten. Wie ist es möglich, dass es für eine solch harmlose Aktion Rot gibt? Alles Lamentieren nützte nichts, nach nur sechs Minuten Einsatzzeit war Ibrahima Traorés Arbeitstag schon wieder beendet, zur Ernüchterung der 3.000 VfB-Fans, zur Freude der restlichen 27.300 Augsburger Zuschauer, die hämisch applaudierten.
Nur nicht unterkriegen lassen
Die Ironie an der ganzen Geschichte: war es vielleicht eine Wette, die Tobias Welz hier laufen hatte? Eine Prämie für den Schiedsrichter, der an einem kartenreichen Spieltag den letzten Platzverweis ausspricht? Nach Sejad Salihovic (Hoffenheim, rot), Benedikt Höwedes (FC Schalke 04, rot) Szabolcs Huszti (Hannover 96, rot), Admir Mehmedi (SC Freiburg, rot), Christian Fuchs (FC Schalke 04, gelb-rot), Francis Coquelin (SC Freiburg, gelb-rot) und Luiz Gustavo (VfL Wolfsburg, gelb-rot) flog mit Ibrahima Traoré der achte und damit letzte Spieler vom Platz. Rekord!
Jetzt bloß die Nerven bewahren! 20 Minuten waren noch zu spielen, noch lagen wir zurück, das würde noch ein hartes Stück Arbeit sein. Der Ball wollte einfach nicht ins Tor. Sie rannten an und scheiterten, das ganze dann auch noch Unterzahl, es gibt wirklich einfachere Dinge, die man als krisengebeutelte Mannschaft erleben kann. Mit einem Mann weniger auf dem Feld war man auch hinten anfälliger bei Kontermöglichkeiten.
Ein Pass auf Sascha Mölders wurde länger und länger, Sven Ulreich parierte zunächst, doch bei dessen Nachschuss rauschte der Augsburger einfach vorbei, auch der mitgelaufene Daniel Schwaab konnte nichts mehr tun. Alles, was der Augsburger tun musste: ins leere Tor einzunetzen. Aus spitzem Winkel setzte er das Leder ans Außennetz. Das hätte ins Auge gehen können, da haben wir wirklich großes Glück gehabt. Etwas mehr Glück hätten wir das ganze Spiel über im Angriff ebenso haben sollen, es blieb uns verwehrt.
Verkehrte Welt in der Puppenkistenstadt
In dem Spiel war bisher alles dabei gewesen: Tore, Elfmeter, Platzverweise \” da kam es nicht von ungefähr, dass es auch noch einen Flitzer oben drauf gab. Wo er herkam, habe ich nicht gesehen, erst spät registrierte ich den vollständig bekleideten, kräftig gebauten Augsburger auf dem Feld, auf den Gästeblock zulaufend und dabei den Stinkefinger zeigend. Wie niedlich! Von den Ordnern wurde er schnell zu Fall gebracht, ein Jahr Stadionverbot und 5.000 Euro Geldstrafe für einen kurzen Moment des vermeintlichen Ruhmes. Manche haben es halt nötig.
Sie gaben nicht auf, sie spielten weiter nach vorne, doch es ging einfach an diesem Tag nichts zusammen. Ich wünschte, ich könnte mich trösten, mit dem Gedanken, dass Augsburg klar besser war an diesem Sonntag Nachmittag. Doch ich würde mich selbst belügen, denn es war der VfB, der hier durchaus im Stande gewesen wäre, drei verdiente und so bitter benötigte Punkte mitzunehmen. Bis zum Schluss versuchten sie es, aus kurzer Distanz, aus der zweiten Reihe, über Freistöße…
Allen engagierten Bemühungen zum Trotz, am Ende reichte es nicht. Welch ernüchternde Feststellung. Da reist du als VfB Stuttgart, Pokalfinalist 2013, fünffacher Deutscher Meister und regelmäßig auf den Bühnen Europas unterwegs, zum FC Augsburg, jahrzehntelang Zweit- oder Drittligist, mit einem Bruchteil unseres Etats, und am Ende verlierst du dort. Beide Mannschaften hatten zu Beginn der Partie null Punkte. Augsburg hatte nicht ein einziges Tor geschossen. Die Hausherren hatten nun beides: Tore und drei Punkte.
“Bruno raus!”
Die Jungs kamen in die Ecke, in der der Gästeblock war. Dort schlug ihnen der ganze Frust und die ganze Enttäuschung mit voller Wucht entgegen. Leere Hände, schüttelnde Köpfe. Wütende Schreie, abwinkende Gesten und ein lautstarkes “Bruno raus!” – dieser war gar nicht einmal mit zum Gästeblock gelaufen, er blieb der Szene fern und diskutierte lieber mit dem Schiedsrichter über Ereignisse, die er jetzt ohnehin nicht mehr ändern kann. Schnell brachen die meisten auf, die Busse warteten vor den Toren.
Eine schnelle Verabschiedung von Kumpel Marco, einen letzten Satz gab ich ihm mit auf den Weg: “Du schuldest mir einen Kaffee!”. Anders als vergangene Saison zum Heimspiel gegen Frankfurt lag er dieses Mal falsch. Beide Male ging er als Optimist von einem Sieg aus, das erste Mal gewann er die Wette, auch wenn es gut ein halbes Jahr dauerte, bis ich den Einsatz, eine Tasse Kaffee, einlösen konnte. Ich hätte nur allzu gerne auch diese Wette verloren.
Hinter ihm tauchte Glücksbringer Sandro auf, der wohl nur wenige Meter von mir entfernt stand. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn wir \” so wie es sich gehört für uns Glückskäfer \” nebeneinander gestanden hätten, wie schon in Hamburg, Frankfurt und Schalke. Die Mundwinkel hingen nach unten, die Zeit reichte nicht einmal mehr zum Plaudern. “Wo warst du, verdammt noch mal?”, ich war restlos bedient, dabei trifft ihn gar keine Schuld. Minutenlang stand ich apathisch da, die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen.
Ernüchternde Statistik
Drei Spiele, null Punkte, 3:6 Tore. Das ist ein Alptraum. Langsam lief ich nach draußen, unser Bus stand schon abfahrbereit zwischen den anderen. Ein paar Minuten dauerte es noch, für den einen oder anderen Plausch, ob mit Kumpel Daniel oder Fotografen-Kollege Franky reichte es trotz allem noch. Frustrierend durchaus, doch recht hoffnungslos scheint unsere Lage. Was passiert nur mit unserem VfB? Kämpften die Augsburger letzte Saison beim 3:0 noch um den Klassenerhalt, während es bei uns um fast nichts mehr ging, so kann ich mir das Spiel heute beim besten Willen nicht erklären.
Schließlich stiegen wir vollzählig ein, nur schnell Weg von hier. Die einzig gute Erinnerung an dieses Stadion stammt aus einer Zeit, in der die Jungs vorzugsweise erst nach Rückständen aufgedreht hatten und jedes Spiel noch ziemlich hoch gewonnen hatten. Was war das für eine Zeit, Platz sechs in der Tabelle stand damals am Ende zu Buche. Unendlich lang scheint es her, über ein Jahr ist seither vergangen. Das Gesicht der Mannschaft hat sich ein wenig geändert, der Trainer war der selbe wie damals.
Es war dunkel geworden, die einzige Lichtquelle im Bus war das Leuchten meines Laptop-Bildschirms. Lustlos sichtete und bearbeitete ich die Bilder, stinksauer, enttäuscht, nicht wissend, wie es mit der Mannschaft weitergehen würde. Am späten Abend ließ uns der Bus im Platzregen in der Nähe des Treffpunkts aussteigen. Nass bis auf die Knochen erreichten wir nach einem flotten Sprint Felix’ Auto. Wir waren nicht die einzigen begossenen Pudel. Die Niederlage in Augsburg war eine zuviel \” sie kostete Bruno Labbadia am nächsten Morgen den Arbeitsplatz.
33 Jahre, gebürtig aus Leipzig, seit 2010 wohnhaft in Stuttgart – Bad Cannstatt. Dauerkartenbesitzerin, Mitglied, ehemalige (Fast-)Allesfahrerin und Fotografin für vfb-bilder.de. Aus Liebe zum VfB Stuttgart berichte ich hier von meinen Erlebnissen – im Stadion und Abseits davon.
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