5:0. Ich würde mal sagen: anstandsgemäß, zufriedenstellend, erwartet. Genau so sollte es sein. Dass wir damit aber zur Ausnahme an einer verrückten 1. DFB-Pokal-Runde wurden, konnte ja keiner voraussehen. Der erste Spieltag, verteilt auf ein Wochenende in der Mitte vom August. So einige Erstligisten waren sich nicht bewusst, dass der Pokal seine eigenen Gesetze hat und schieden überraschend aus. Und so schnell wird aus einem ungefärdeten Sieg eine Ausnahme.

“Wo ist das denn?” fragte man sich, als am 23. Juni diesen Jahres der unterklassigste Gegner aus dem Topf gezogen wurde. Gestatten: SV Falkensee-Finkenkrug. Brandenburg. Nahe Potsdam, an der westlichen Grenze zu Berlin, einen Steinwurf vom Finalstadion entfernt. Sechstligist. Der vermeintlich einfachste Gegner von allen, zumindest wenn es nach der Ligazugehörigkeit geht. Meine Freude war riesengroß, als der kleine Ball mit dem VfB-Wappen aufgeschraubt und in die Kamera gehalten wurde.

Meine bessere Hälfte und ich verfolgten die Auslosung im Fernsehen. Wir sahen einander an und waren uns einig: Pflicht-Antritt! Nicht nur zum Pokalspiel selbst, sondern auch mit Zwischenstation bei meiner Familie in Leipzig. Allerdings diskutierten wir solange, wie wir dort hin kommen (Flug, Auto, Bus, Bahn, Teilstrecken, etc.), bis sich die Frage nach dem Reisemittel von alleine klärte: Flüge wurden teuer und die günstigste Alternative lautete Mitfahrgelegenheit.

Schnell wurde alles organisiert und eingetütet, meine Familie freute sich riesig über den anstehenden Besuch in der heimlichen Hauptstadt Sachsens \” schmunzelnde Grüßle an Herrn R. S. aus D., er wird mir den Spaß nachsehen können, hoffe ich doch zumindest. Der Urlaub für 2 Tage wurde eingereicht und anstandslos genehmigt, die Hinfahrt startete am Freitag Nachmittag in Stuttgart-Feuerbach, unscheinbar in einem silbernen BMW mit Münchener Kennzeichen.

Meine Eltern waren auf eine späte Ankunft, tendenziell gegen Mitternacht gewappnet. Drei Stunden später rief ich daheim an, nachdem man uns gerade am Leipziger Hauptbahnhof herausgelassen hat. Kein Wunder, bei stellenweise 240 km/h auf der Autobahn und sogar gefährlichen 130 km/h in de Baustellenbereichen. Es hatte zumindest etwas gutes: wir fahren schnell da und genossen noch den Abend im gemütlichen Kreis.

Am nächsten Morgen brachen wir bereits gegen 6 Uhr morgens auf und liefen zu Fuß zum Leipziger Hauptbahnhof, schnurstraks in den McDonalds hinein, wo mein langjähriger Kumpel Torsten schon auf uns wartete. Gemeinsam wurde noch gefrühstückt (sofern man das überhaupt so bezeichnen kann), bevor wir uns mit dem Wochenendticket in den Regional Express setzten, der uns bis nach Dessau bringen sollte.

Es war eine gemütliche Fahrt ohne jeglichen Stress, vorbei durch Städte, Wälder und Dörfer. In Dessau mussten wir umsteigen in Richtung Berlin-Wannsee, wo uns die S-Bahn nach Potsdam-Babelsberg brachte, wo das Spiel ausgetragen werden würde, Falkensees eigenes Stadion (oder vielmehr Sportplatz) ist mit 1.000 Plätzen definitiv zu klein \” das hätte für zwei Drittel der erwarteten VfB-Fans gereicht, nicht zuletzt mit dem in Berlin beheimateten Fanclub Cannstatter Kurve Berlin, die zahlreich erschienen waren.

Zusammen mit Felix und Torsten liefen wir erst einmal die Karl-Liebknecht-Straße hinunter bis zum gleichnamigen Stadion, dessen Flutlichtmasten schon beim Verlassen der Bahnstation gut zu sehen waren. Unterwegs trafen wir noch weitere Bekannte und setzten unseren Weg fort. In der Nähe fanden wir ein Lokal, in dessen Freisitz sich schon die ersten VfB-Fans eingefunden haben und wir uns dazu gesellten. Wir tranken und aßen, als auch die von Stuttgart aus gestarteten Fans in Bussen angekommen waren und der Platz im Freisitz rar wurde.

Geschlossen liefen wir die paar Meter zum Stadion, wo schon der Einlass zur Geduldsprobe wurde. Die Sonnencreme nahmen wir mit, auch in dem Wissen, diese höchstwahrscheinlich nicht mitnehmen zu können. Das Risiko ging ich ein, hätte ich sie mir nach dem Spiel zumindest wieder zurück geholt. Erfreulicherweise konnte ich sie dann aber doch mitnehmen, dem Sonnenbrand war damit weitgehend vorgebeugt an einem Samstag, der besonders warm und stickig war, das ganze in einem nicht überdachten Gästenblock. Besser ist das.

Gekühlte Getränke gabs für faire 2,50 Euro im 0,5-Liter-Plastikbecher direkt am oberen Ende des Gästeblocks mit ausreichend Personal, das hat man in dieser Form teilweise nicht einmal bei gestandenen Erstligisten. Nach und nach sortierte sich alles, eine Choreographie wurde aufgebaut und man wartete gespannt auf den Anpfiff der neuen Saison. Endlich geht es wieder los, endlich wieder Fußball, eine Woche vor Beginn der Bundesliga-Saison galt es nun, sich in der 1. DFB-Pokal-Runde warm zu schießen. Endlich. Mit einer tollen Choreographie im Gästeblock konnte das Spiel beginnen.

Es dauerte, bis sich die Überlegenheit des VfB sich auch in Toren zeigte, denn anders als 4 Jahre zuvor in Lüneburg, als der VfB nach 11 Minuten in Führung ging bei gleichem Endergebnis, ließ das 1:0 sehr lange auf sich warten. Zu lange für meinen Geschmack. Das Klischee der Mannschaft, die nur hinten drin steht und mit Mann und Maus verteidigt. Was willst du auch anderes tun, wenn du weißt, dass du an einem normalen Tag keine andere Wahl hast.

Wir Fans im Stehblock kennen es, so auch die anderen, die regelmäßig den Spielen des VfB beiwohnen. Einen Moment der Stille, bevor der laute Schrei des Vorsängers vom Commando Cannstatt die Ruhe durchschneiden. Jeder weiß, was zu tun ist. Als der VfB im Angriff war, holten wir tief luft für ein lautes “Zusammen!” – und brachten es nicht weiter zu “Wir sind die Jungs aus Cannstatt” \” denn just in diesem Moment erzielte Vedad Ibisevic per Nachschuss das 1:0. Das wurde aber auch Zeit, kaum zu glauben, dass es bis dahin 30 Minuten gedauert hat.

Fast schon Halbzeit \” und “nur” 1:0 in Führung, gegen einen Sechstligisten. Schon fast ein wenig schändlich. Bevor es in die Kabinen ging, markierte Martin Harnik noch schnell das 2:0, die Erleichterung war ihm und uns allen anzumerken. Ab jetzt könnte es zum Selbstläufer werden, wenn man sich nicht allzu blöd anstellt. Und auch sowas soll es ja geben, wie man am Ende des Tages erfahren hat. Es hätte weitaus schlimmer kommen können, als mit 2 Toren gegen einen Sechstligisten zu führen.

Nach dem Seitenwechsel spielten unsere Jungs in unsere Richtung, der Gästeblock war gut gefüllt und motiviert bis in die Haarspitzen. Ein tolles Gefühl, endlich wieder bei seinesgleichen zu stehen, die Lieder mit zu singen, zu hüpfen und zu klatschen \” was hat es uns gefehlt in den letzten Monaten. Nach 10 Minuten in der 2. Halbzeit fiel vor unserer Nase das 3:0, wieder durch Martin Harnik, nun sollte wirklich nichts mehr anbrennen.

Nicht unbedingt ein Kantersieg, aber ein Ergebnis, mit dem wir hätten leben können. Durch diverse Smartphones im Umkreis erfuhr man indes, dass Hoffenheim zur gleichen Zeit 0:4 beim Viertligisten Berliner AK) zurückliegt, die Häme hielt sich natürlich nicht gerade in Grenzen. Es hätte gerne etwas höher sein dürfen, doch ein am Ende souveräner Zu-Null-Sieg tut ja auch ganz gut, nicht zuletzt dem fast beschäftigungslosen Sven Ulreich, der nur wenige Male bei ein paar Trotzphasen der Brandenburger ein wenig seiner Aufmerksamkeit schenken musste.

Mittlerweile war einer unserer beiden gratis Neuzugänge Tunay Torun eingewechselt worden, der schon im Training einen recht guten Eindruck machte. Anerkennendes Klatschen, als er nach 70 Minuten einen Sololauf durch mehrere Abwehrleute absolvierte und dann leider wenige Zentimeter am Tor vorbeischoss. Er holte es nach und traf 10 Minuten vor Schluss zum 4:0 \” dieses Tor hat er sich dermaßen verdient, er wusste zu gefallen in der halben Stunde, die er spielen durfte.

Den Schlusspunkt der Partie wurde dann mit dem 5:0 durch Shinji Okazaki markiert, dem das Jubeln fast schon unangenehm war, da haben wir ihn schon ganz anders gesehen. Nur 3 Minuten später war das Spiel vorbei, ein toller Nachmittag für alle 7.250 Zuschauer im Karl-Liebknecht-Stadion Babelsberg. Wir feierten unsere Jungs natürlich, doch auf die Reaktion des SV Falkensee-Finkenkrug konnte man nicht vorbereitet sein.

Sie fühlten sich wie der zweite Sieger in diesem Spiel. Auf jeder Seite wurde eine Welle gemacht, klatschend liefen sie am Gästeblock vorbei und bekamen widerrum anerkennendes Klatschen. Zum Schmunzeln: es gab sogar eine begeisterte Welle mit dem Gästeblock, welch nette Geste, sehr sympathisch. Respekt und Anerkennung für jene, denen es gebührt. Chapeau, Falkensee – ihr habt es uns am Anfang nicht leicht gemacht.

Spät, aber gerade noch rechtzeitig dämmerte es mir: es war der 18.08.2012. Ein vermeintlich beliebiges und bedeutungsarmes Datum. Für mich jedoch nicht, im Gegenteil. An diesem Tag vor genau 5 Jahren stand ich nur wenige Kilometer entfernt im Gästeblock des Berliner Olympiastadions. Nach 16 Minuten schoss Thomas Hitzlsperger das 1:0 für den VfB, es war im Nachgang betrachtet der Moment, wo es kein Zurück mehr gab. Treppenwitz der Geschichte: das Spiel ging noch mit 1:3 verloren. 5 Jahre, die mein Leben völlig auf den Kopf gestellt haben. Und ich bereue nichts.

Schon bald machten wir uns auf den Weg, verabschiedeten unsere Weggefährten mit den Worten “Bis Dienstag!” und zogen von dannen. Unser Dreiergespann lief zurück zum Babelsberger Bahnhof, die selbe Strecke wieder zurück über Berlin-Wannsee und Dessau. Trotz des 5:0 und der guten Stimmung schob ich ein wenig Frust, hatte ich diesmal schließlich keinen Laptop dabei zum Bearbeiten der Bilder und auch keinen Internetanschluss in der elterlichen Wohnung im 4. Stock des Plattenbaus. Über Umwege konnte ich die Bilder am nächsten Nachmittag dann doch noch hochladen.

Ich genoss noch 2 schöne Tage bei meiner Familie, bevor wir zurück nach Stuttgart fuhren, wieder per Mitfahrgelegenheit. Kein Raser diesmal, ein besonnener und freundlicher Fahrer, der uns bis Stuttgart-Weilimdorf brachte und wir 30 Minuten später Zuhause einkehren konnten. Ein schöner Trip war es durchaus, und die Vorfreude auf unsere Rückkehr ins Neckarstadion war unermesslich groß.

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