Ein Satz, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Worte, die einen für einen Moment erstarren lassen. Silben, die einem einen Schlag in Gesicht verpassen, der von Mal zu Mal schmerzhafter wird. “Tor für die Gäste” haben wir in diesen Wochen schon zu oft gehört. Es ist kühl geworden im schönen Cannstatt. Der Herbst kommt und bringt die Tristesse gleich mit. Nicht zu wissen, wie es weitergehen soll, macht die Situation auch nicht gerade einfacher.

Besonders große Lust, ausufernde Spielberichte zu haarsträubenden Niederlagen zu schreiben, ist mir schon längst abhanden gekommen. Es ist kräftezehrend, das selbe Szenario Woche für Woche zu durchleben. Die Tatsache, dass der VfB mit dem schlechtesten Saisonstart seit 36 Jahren noch nicht mal so schlecht ist wie in der Saison 1974/1975, in der sie schließlich abgestiegen sind, tröstet einen auch nicht, im Gegenteil.

Es war mein erstes Umzugswochenende. Von Freitag Nachmittag bis Samstag Nacht wurden in Leipzig fleißig Kisten gepackt, Möbel auseinander geschraubt und in den geliehenen Sprinter eingeladen. Mit Sack und Pack ging es nach Cannstatt, schnell ausgeladen und zum Wasen gelaufen, ein Maß mit den Jungs vom Beutelsbacher Pöbelvolk. Gleich im Festzelt zu bleiben und ein Maß ums andere zu trinken, das erschien vielen erst im Nachhinein eine bessere Idee gewesen zu sein.

Noch am Donnerstag spielten die Jungs in der Europa League und gewannen Last Minute durch ein Traumtor von Neuzugang Martin Harnik – Balsam für die geschundene Seele eines jeden Brustringträgers. Das sollte doch Auftrieb geben, nach dem letzten Europa League Spiel (3:0 gegen Bern) gewannen wir 7:0 gegen Gladbach, also warum nicht eigentlich wieder den Rückenwind mitnehmen?

Der Spätsommer hielt Einzug und bescherte uns einen traumhaft warmen Sonntag Nachmittag. Hell schien die Sonne vom Himmel am Tag der Deutschen Einheit, es versprach ein schöner Fußballtag zu werden, genau das brauchte ich nach der schlauchenden Umzugstour. Doch es hatte nicht sollen sein.

Sebbi kam auf Krücken, mit vollem Einsatz im Fußball-Turnier der Boys in Red vor wenigen Tagen hat es ihm das vordere Kreuzband gekostet. Der Rest der Jungs sah nach einem Wasen-Wochenende mehr oder weniger fit aus, dennoch teilte man sich, die einen zum CC, die anderen in den Block 73. Ich spürte jeden Muskel und ausnahmsweise hätte ich mir gewünscht, nicht die ganze Zeit des Spiels durchzuhüpfen und durchzuschreien. Dieser Wunsch wurde auf eine Weise erfüllt, die ich mir nicht erhofft hatte.

Dabei begannen die ersten Minuten im Neckarstadion vielversprechend. Nach dem Sieg am Donnerstag schienen die Jungs an die gute Leistung anzuknüpfen und drängten nach vorne, die Abwehr stand, soweit alles schön und gut. Anfeuerungsrufe und dann doch noch die eine oder andere Hopserei machte ich am Anfang auch noch mit, voller Hoffnung, es würden wieder ein paar Punkte aufs Bundesliga-Konto kommen.

Nach etwa 20 Minuten hatte sich das dann fürs erste auch erledigt. Wieder tönte es “Tor für die Gäste” durch die Stadion-Lautsprecher, beklemmende Stille für ein paar Sekunden, bis die Anfeuerungsrufe wieder aufkeimten. Ich war bedient, vielen ging es ähnlich. Nur selten gelang es dem VfB in dieser Saison, in Führung zu gehen, ich erinnere mich in jüngster Zeit nur an die Spiele in der Europa League gegen Bern und Odense, in der Bundesliga gegen Gladbach. Aber sonst? Nun lagen wir also hinten. Schon wieder.

Auch die nachfolgenden Minuten ließen meine Hoffnung nicht gerade wiederkommen. Auf 3 Meter Entfernung dem Gegner den Ball vor die Füße spielen und kollektives Versagen in der sogenannten “Abwehr” – schon war es ein einfaches für die Eintracht aus Frankfurt, das 0:2 zu machen. Als wäre es das einfachste der Welt. Vor 2 Wochen erfreuten wir uns noch am 7:0 – und sehen uns nun selbst in der Position, die Schießbude der Liga zu sein.

Als dann auch noch 10 Minuten vor Schluss bei einem Stand von 0:2 unser Kapitän Matthieu Delpierre vom Platz gestellt wurde, gaben viele die Hoffnung ganz auf. Auf den Tribünen konnte man beobachten, wieviele Zuschauer schon ihre Plätze verließen, in Ermangelung ihrer Kräfte, noch weitere Rückschläge hinzunehmen.

Eines der Mysterien im Fußball ist der Platzverweis, oder vielmehr, dessen Wirkung. Kommt er zur rechten Zeit, kann auch die benachteiligte Mannschaft durchaus Positives daraus ziehen. Das war schon gegen Leverkusen zu beobachten, als Mauro Camoranesi die rote Karte sah.

Was in den letzten 10 Minuten geschah, war für mich eine Mischung von unbegreiflich, enttäuschend und ärgerlich. Wieviel Frust im Franzosen gesteckt haben muss, da bedarf es nicht sonderlich viel Fantasie. Der VfB drehte auf und man hatte zum ersten Mal seit den ersten 20 Minuten das Gefühl, als wollten sie hier doch nicht als Verlierer vom Platz gehen. Dass ihnen das reichlich spät einfällt, steht außer Frage.

Nur noch 5 Minuten, da war er, der Anschlusstreffer! Pogrebnyak staubte ab zum 1:2 und ließ die Hoffnung, die schon verloren schien, dann doch noch einmal aufkeimen. Zu Simon meinte ich noch: “So etwas kann enorme Kräfte freisetzen” – es schien, als hätte man mir dabei zugehört.

Tränen der Freude, von den Schultern abgefallene Last, Erleichterung und Begeisterung nach einem Spiel, das gänzlich verloren schien. Es war die 89. Minute, als ich meine Jungs herzte und umarmte, ein einfach tolles Gefühl. Auch da stand ich nicht alleine, wo ich auch hinsah, überall lagen sich teils fremde Leute in den Armen und bejubelten den späten, nicht vollständig verdienten Ausgleich durch Cacau.

Es dauerte ewig, bis auch der letzte Heinz im Stadion begriff, dass der Schiedsrichter in sein Trillerpfeifchen pustete. Abgepfiffen! Was war? Abseits? Nie im Leben? Foul? Keine Ahnung, ich hab doch keine Adleraugen die alles sehen, was auf der anderen Seite des Stadions passiert. Kälte, Lähmung, Schüttelfrost. Kein Ausgleich.

Den Abpfiff wenige Momente später realisierte ich kaum, zu verstört war ich in diesem Moment. Ein klarer Fall von “zu früh gefreut”, nicht wahr? Viele Zuschauer haben diesen Moment gar nicht mehr mitbekommen., überall klafften zu diesem Zeitpunkt schon die Lücken auf der Haupt- und Gegentribüne.

Da weißt du eigentlich gar nicht mehr, was du zu solchen Erlebnissen sagen sollst – geschweige denn, was du schreiben sollst. An für sich passt dieses nicht gegebene Tor perfekt ins Bild des VfB der letzten Wochen, getreu dem Motto “Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß”.

Dass das Tor, welches abgepfiffen wurde, ein reguläres und zu unrecht nicht gegebenes Tor war, macht es nur noch schwerer zu ertragen – ist es ja auch nicht so, als wäre dass das erste Mal in dieser Saison gewesen. In einer zeit, wo alles gegen dich läuft und selbst bei größter Anstrengung kein Kapital daraus schlagen kannst. Du kannst kämpfen, fighten und beißen mit all deiner Leidenschaft. Heißt es dann wieder “Tor für die Gäste” ist die Moral gebrochen. Sowohl die der Spieler als auch Stück für Stück die ihrer Anhängerschaft, die jede Woche Vollgas geben.

Minutenlang verweilte ein großer Teil der Kurve noch auf den Rängen, es wurden stille Gespräche geführt, keine Gesänge, keine Fahnen. Einfach nur Stille. Ich blickte in bekannte und unbekannte Gesichter, ein ungutes Gefühl stieg in mir auf.

Sollte sich der VfB nicht bald, und ich meine wirklich sehr sehr bald wieder berappeln, stehen wir wieder dort, wo wir schon vor einem Jahr waren: Unzufriedenheit, ein wütender Mob und die möglicherweise erste Trainer-Entlassung der Saison. Ich hoffe, es kommt in diesem Jahr nicht soweit. Alleine die Hoffnung lässt mich in dem Glauben, dass doch noch alles gut wird. Wie eigentlich immer beim VfB.

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